Archiv der Kategorie: Alter

Aphorismen und Gedichte zum Thema Alter

Das Geheimnis des rechten Altwerdens liegt in einem Satz:
Die Zeit geht sanft nur mit denen um, die mit der Zeit sanft umgehen.
(Anatole France, 1844 – 1924)

Es zählt nicht, wie alt du bist, sondern wie du alt bist.”
(aus China)

Dinge, die man als Kind geliebt hat,
bleiben im Besitz des Herzens
bis ins hohe Alter.
Das Schönste im Leben ist,
dass unsere Seelen nicht aufhören,
an jenen Orten zu verweilen,
wo wir einmal glücklich waren.
(Khalil Gibran)

Mich frug mein Freund,
wie viele Lebensjahre
bereits auf meinen Schultern ruhten.
Ich sprach:
“Im besten Falle zwei Minuten.”
Er wies bestürzt auf meine weißen Haare.
Da sagte ich: “Wir müssen klar erkennen,
wie sich verteilt
des Lebens Wert und Maß.
Ich küßte einmal so,
dass ich es nie vergaß…
Den Rest des Erdenseins
kann ich nicht Leben nennen…”
(Ali Ibn Al Andalusi Hazm, 993 – 1064)

Größres mag sich anderswo begeben,
als bei uns, in unserm kleinen Leben,
Neues hat die Sonne nie gesehen.
Seh’n wir doch das Große aller Zeiten
auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
sinnvoll, still an uns vorübergeh’n.
Alles wiederholt sich nur im Leben,
ewig jung ist nur die Phantasie.
Was sich nie und nirgends hat begeben,
das allein veraltet nie!
(Schiller: An die Freude)

Nur wenige Menschen
sind wirklich lebendig
und die, die es sind, sterben nie.
Es zählt nicht,
dass sie nicht mehr da sind.
Niemand, den man wirklich liebt,
ist jemals tot.
(Ernest Hemingway)

Je schöner und voller die Erinnerung,
desto schwerer die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt
die Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne
wie ein Geschenk in sich.
(Dietrich Bonhoeffer)

Es wird aussehen, als wäre ich tot
und das wird nicht wahr sein.
Und wenn du dich getröstet hast,
wirst du froh sein,
mich gekannt zu haben.
Wenn du bei Nacht
den Himmel anschaust,
wird es dir sein,
als lachten alle Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne,
weil ich auf einem von ihnen lache.
Du allein wirst Sterne haben,
die lachen können.
(Antoine de Saint-Exupéry)

Wahre Begebenheiten

Die Namen der Personen im Nachfolgenden wurden geändert. 

Fühlen Sie sich geküsst

Die alte Dame trägt ein Kostüm, wirkt gepflegt und ist perfekt frisiert. Sie sieht aus, als sei sie auf dem Weg zu einem besonderen Event. Der Fahrstuhl, der sie nach unten fährt, wirkt durch ihre Anwesenheit alt und gebrechlich. Daran ändert auch die junge Frau in Weiß nichts, die sich ebenfalls in diesem Fahrstuhl befindet, mit einem Servierwagen voller Speisen, die nur probiert oder halb aufgegessen wurden. Sie schauen sich an, beide haben das selbe Ziel, beide verbindet die Zufälligkeit. “Nur keine Sorge, Frau Huber, ich fahre mit Ihnen runter und bringe Sie in das Haus A. Sie sind hier im Haus B, doch Sie wohnen im Haus gegenüber.” Die alte Dame schaut sie traurig an. “Wissen Sie, wenn man abends hier herumläuft, hat man Angst, dass schon alle in den Betten liegen und einem keiner mehr sagen kann, wohin man gehen muss.” “Da müssen Sie keine Angst haben”, sagt die Pflegekraft, “Sie gehen hier nicht verloren, wir sind doch für Sie da.” Da seufzt die alte Dame, lächelt und sagt: “Wenn Sie meine Tochter wären, würde ich Sie jetzt küssen. Fühlen Sie sich geküsst, wenn Sie heute Nacht schlafen gehen.”

Der unendliche Urlaub

Herr Stein (88) hat Besuch von seiner Enkelin (18). Weil sie nicht wusste, worüber sie sich mit dem senilen, alten Mann unterhalten sollte, hat sie Fotos vom letzten Urlaub mitgebracht. Der Großvater, sichtlich erfreut, betrachtet ein Bild nach dem anderen, stellt Fragen, zeigt sich erstaunt über dies und das. Erleichtert, ein gemeinsames Thema gefunden zu haben, legt die Enkelin die Fotos beiseite und erzählt noch mehr von der Reise. Herr Stein lauscht interessiert, bis ihn etwas auf dem Tisch ablenkt. Er deutet auf die bereits gezeigten Fotos: “Hast du die mitgebracht?” Die Enkelin beginnt erneut, ihm die Fotos zu zeigen. Herr Stein erfreut sich auf’s Neue an den Urlaubsfotos. Schneller als sonst vergeht die Besuchsstunde. …Wenn das Gedächtnis nachlässt, wird das Jetzt wichtiger. Sich am dem zu erfreuen, was im Augenblick geschieht, darauf kommt es an.

Geht doch!

Im Seniorenstift ist die Eingangshalle zu gewissen Zeiten verwaist – bis auf eine Bewohnerin. Ich habe die Hoffnung schon aufgegeben, unbemerkt an ihr vorbeizukommen. Mit Argusaugen beobachtet sie jeden, der herein kommt. Ihr Blick erinnert mich an die Schulrektorin mit Wasserwellenperücke, die ich in der ersten Klasse als Lehrerin hatte, auch sie hatte diese kantige, strenge Brille, mit der sie jeden der kleinen armen Sünder bis ins Mark durchschaute. – Wie schon erwähnt, diese Bewohnerin war im Seniorenstift immer präsent. Jedoch –  einmal hatte sie mich überrascht, als sie auf einem anderen Lehnstuhl thronte als gewohnt. Im Augenwinkel hatte ich sie dann doch noch wahrgenommen, als ich fast schon an ihr vorbei war. Ich grüßte verspätet, ihr Blick fing mich dennoch ein. “Geht doch!”, trompetete sie mich an.  … Was bleibt vom Sein, wenn man Sein mit Wichtig definiert, das Alter aber die Wichtigkeit geraubt hat?

Raten Sie mal!

Herr Weiss ist über 90, gepflegtes Äußeres. Zum Altenheim gehört ein kleiner Park mit Bänken, auf denen Herr Weiss immer sitzt, wenn die Sonne scheint. Kommt eine Dame (es gibt dort fast nur Damen) vorbei, lüpft Herr Weiss seinen Hut zum Gruß. Nach einer kurzen Aussage über das Wetter folgt prompt seine Aufforderung: “Raten Sie mal, wie alt ich bin!” “Frau” schätzt ihn höchstens auf 80, vielleicht sogar 75. Schließlich hat er wenig Falten und kaum Altersflecken und sein Lächeln macht auch ein paar Jahre wett. Herr Weiss posaunt begeistert sein Alter heraus: “Ich werde bald 95!” … So kann auch die Tatsache, dass vom Leben nur noch wenig Zeit übrig ist, ein sonniges Gemüt erheitern.

Zurück zur Langsamkeit

Frau Zimmer (85) ist zur Zeit in Reha und macht gute Fortschritte. Sie will wieder selbständig sein und bleiben, das ist toll! Wenn man ihr zuschaut, wie beschwerlich jede Bewegung für sie ist, die für unsereins total selbstverständlich und leicht vonstatten geht, ist das wirklich bewundernswert. – Ihre Zimmernachbarin, Frau Rebstock (82), selbe Problematik, sieht das jedoch anders. Sie kann sich noch schlechter bewegen als ihre Leidensgenossin, hat kaum Lust zum Trainieren und möchte am liebsten in den Rollstuhl. Gestern erklärten wir Frau Zimmer den Fernseher, da meinte ihre Nachbarin, sie sieht ja so gut wie kein Fernsehen mehr, sie möchte wieder “zurück zur Langsamkeit”, das sei in unserer Zeit so dringend notwendig. …. ! Eine alte Frau, die sich nur noch in Zeitlupe bewegen kann, will zurück zur Langsamkeit! Und die Berufstätigen im Hamsterlaufrad, das sich immer schneller dreht, wundern sich, wo die Zeit geblieben ist, weil sie sich so an die Geschwindigkeit gewöhnt haben, dass sie sie gar nicht mehr bemerken. Tja, so ist das manchmal – eine verrückte Welt.

Verbrecherjagd im Altersheim

Im Altenheim, da ist was los,
denn Herrmann ist kein Trauerkloß!
Wenn etwas mal verschwunden ist,
sitzt er nicht da und trauert trist.

Im Gegenteil, er fängt gleich an,
zu suchen, wo er suchen kann.
Auf einmal kommt’s ihm in den Sinn:
Er ruft: “Die ware widder hinn!”

Des Herrmanns Tochter sich sehr freut:
Das Telefon bei ihr grad’ läut’!
Die Freude währt jedoch nicht lang,
sie hört ein Wispern, ihr wird bang.

„Helga horsch!“, raunt leis’ die Stimme,
und sie ahnt auch gleich das Schlimme.
„Du glaabscht es net, die hawwe mir,
geklaut schon wieder`s Klopapier!“

Die Wangen werden ihr schon bleich.
„Such’ gar net long’. Ich komme gleich!“
Sie sagt’s und steigt mit weiche Knie
hinein in den „Mit-Schuh-bischt-hie“.

Dann fährt sie los, so wie im Traum,
und achtet auf die Schilder kaum.
„Wenn ich des find, und’s Portemonnaie,
oh warte nur, des werd dann schä!“

Schon läuft sie hin, durch Vaters Tür.
Doch wie steht er nun da vor ihr?
Das Haar zersaust, im Hemd ein Riss
und gar im Mund fehlt das Gebiss!

„Jetzt kumm du ämol roi ins Zimmer.
Uff dieses Klo do geh’ isch nimmer!
Die hawwe mir, gar net schäniert,
sogar des gonze Klo verschmiert.“

Die Tochter sieht es mit Entsetzen:
„Jetzt muss ich mich erst einmal setzen.
Wie sieht es denn hier wieder aus?
Rück’ jetzt mal mit der Sprache raus.

Du hattest doch die Zähne wo,
und wenn ich suchen muss im Klo.
So wahr ich Helga Müller heiße:
Ich hol’s Gebiss dir aus der Scheiße!“

Die Helga Müller ist famos,
find`s Portemonnaie in einer Hos’,
die unten lag im Kleiderschrank.
Der Vater wird vom Zuseh’n krank.

Er schaut sie an und ihm wird klar,
der Dieb ja doch ein Trugbild war.
Er sagt: „Des onnere findscht du nimmer.“
Schon geht ihr Blick durch’s ganze Zimmer.

„Du sagst zu mir, ich find es nie?
Wenn doch, dann gehst du auf die Knie!“
Der Vater verspricht’s hoch und heilig,
die Tochter hat es nun sehr eilig,

sieht unter Stühle, unter Bänke,
und hinter alle kleinen Schränke.
Dann schaut sie unter alle Kissen.
Der Vater kriegt ein schlecht’ Gewissen.

Zu guter Letzt, im Brötchenkasten,
kann sie `was Flauschiges ertasten.
„Des Klopapier, isch glaab’, isch spinn’!“,
ruft sie und hält’s dem Vater hin.

Der Vater sieht’s und ist ganz froh,
jetzt kann er wieder auf das Klo.
Und gleich verschwindet er hinein.
Das „Auf die Knie geh’n“ lässt er sein.

Da drin er in den Spiegel schaut,
sein Anblick ihn ja schier umhaut:
„Die Zähne hätt’ ich fast vergessen,
ich muss heut’ Mittag doch zum Essen!“

Derweil die Tochter nicht verzagt,
hat auch den Blick ins Bett gewagt.
Ein Griff, ein Schrei, und in der Hand
hält sie die Zähne, die sie fand.

Der Vater ist nun ganz entzückt,
mit „vollem“ Mund er glücklich blickt.
Die Diebe sind nun ganz vergessen,
mit Freude denkt er nun an’s Essen.

Und sagt, mit einem frohen Lachen:
„Man muss die Augen halt aufmachen!“
Die Tochter hört’s, ihr Mund ist auf,
ist sprachlos und sagt nichts mehr drauf.

So ist’s der Dank. Hat man’s gefunden,
ist tags darauf es bald verschwunden.
Der Herrmann ist kein Trauerkloß,
drum geht die Sucherei dann los.

Denn will der Herrmann etwas holen
und findet’s nicht, so ist’s gestohlen.
Darauf schon bald – wir wissen’s schon,
schellt bei der Tochter das Telefon.

So ist’s ein Kreislauf, dieses Leben:
Die einen nehmen, die anderen geben.
Nur glücklich ist, wer nicht vergisst,
dass Geben nie vergebens ist!

© Anita Hasel 1991

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