Zeit fliegt

Das Zeitphänomen

Wieso gehen wir so verschwenderisch um mit der Zeit, von der wir doch immer zu wenig haben? Wir leben immer länger, doch wir werden schneller alt. Wie kann das sein? Und je älter wir werden, umso schneller scheinen die Jahre davon zu fliegen. Wie kommt das? Wir haben heute fast doppelt so viel Lebensjahre zur Verfügung als vor 100 Jahren. Doch was machen wir mit unserem Bonus von etwa 40 Jahren mehr an Lebenszeit? – Wir suchen Zeitvertreib!

Wunderliches Wort:
die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigt’s nicht:
wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem?
(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)

Ja, wir vertreiben die Zeit und wundern uns, dass sie an uns vorbeirast, als wäre der Teufel hinter ihr her. Aber wir wundern uns nur kurz und auch nur zum Jahreswechsel oder bei Geburtstagen. Wie schnell ist das Jahr vergangen, wo ist es geblieben und vor allem: Was ist uns davon geblieben? Erinnerungen? – So viele Fotos von so vielen Reisen: Wo war das noch mal? Mit wem waren wir dort und wann war das? – Erfolge? So viele Termine im Kalender: Meetings, Workshops, Brain Storming, Mind Mapping, To do’s. – Doch wie hat sich das alles angefühlt? Manchmal fühlen wir nur noch die Ohnmacht im Hamsterrad und treten doch immer schneller.


Alle Gedichte © Anita Hasel


Einfach mal nichts tun und der Zeit beim Blieben zusehen

Die Zeit zu Besuch

Der kurze Tag ist fast schon warm.
Die Sonne nimmt mich in den Arm.
Sie streichelt meine blasse Haut.
Der Wind ist still, der Reif getaut.
— weiterlesen—


Wir vertreiben uns die Zeit, obwohl wir so wenig davon haben

Vertriebene Zeit

Müde noch, im Morgenmantel,
bin ich starr, vor Schrecken bleich.
Hör’ vom Crash am Börsenhandel,
Aktienkurse fallen gleich!

Schweift mein Blick durch die Rubriken,
tropft Kaffee auf’s Feuilleton.
Zwischen Honigbrot und Kriegen
läutet Sturm das Telefon.

Ampeln, Autos, Menschenmassen,
rasen grau an mir vorbei.
Brainstorming beim Wasserlassen
macht den Kopf dann wieder frei.

Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie floh wie ein Gespenst?
Wo ist nur der Tag geblieben?
Im Nirwana ist er längst!

Mittagspause, reden, kauen,
immer mit dem Blick zur Uhr.
Nebenbei, beim E-Mails schauen,
freundlich grüßen auf dem Flur.

Zu dem nächsten Treffen hetzen –
Internet gibt’s auch im Zug.
Kann mich mit der Welt vernetzen,
Konkurrenz, die gibt’s genug.

Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie rann durch meine Hand?
Wo ist nur mein Jahr geblieben?
Ungenutzt und unerkannt!

Auch der Doktor kann nichts finden,
sparsam ist sein rascher Rat.
Sollt’ ich mich vor Schmerzen winden,
wär’s um seine Kasse schad’.

Also hau’ ich in die Tasten,
frag’ das World Wide Web: Warum?
Probier’ alles – außer Fasten,
doch die Werte bleiben krumm.

Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie schwand in einem Nu?
Nur der Tod ist mir geblieben,
ewig währet dann die Ruh’.

Kann schon bald auf Wolke Sieben
endlich tun, was ich versäumt:
Sinnen, spinnen, leben, lieben,
und das sein, was ich erträumt.

Dumm ist nur, ich kann’s nicht drehen.
Ignoranz ist einerlei.
Sicher wird der Traum verwehen,
denn mein Leben ist
vorbei.


Im Sauseschritt ins Altersheim

Life is live

Life is live in meinem Leben,
vieles muss es mir noch geben,
auch wenn ich schon 50 bin.
Wo sind all die Ages hin?

Im Pyjama, ungestylt,
vom Burn-out noch nicht geheilt,
mit dem Birthday-blues im Haar,
kommt der Tag nicht wonderbra.

Antiaging, Bodylotion,
turned mich an in High-Slow-Motion.
Hairstyling im Wet-look-Look,
geht dann eher schon ruck-zuck.

Wenn der Boss im Office wartet,
mit dem Dress-Code, streng geartet,
trägt ein Broker besser nie
Streetwear made in Germany.

Brainstorming beim Kick-off-Treff,
Babyface und Softie-Bluff,
Stand by für das Management,
das die Worst-case-Deadline kennt.

Schnell ein Break zum Powernap
puscht den allergrößten Depp.
Public Viewing after Work –
Party ist niemals verkehrt.

Dabei frag‘ ich mich im Stillen:
Wann denn kann ich endlich chillen?
Extrem-Couching wär‘ jetzt fein,
doch da fällt mir wieder ein:

Real life im Stand-By-Modus
geht heut‘ nur noch auf dem Lokus.
Ohne Power-Motivation
schlägt dich die Old Generation.

Silverager schwer im Kommen,
„50plus“ den Schreck genommen,
„Well off old“ die People heißen,
Woppies ruft man diesen Greisen

hinterher, wenn sie beim Walken
nur mit Happy-Enders talken,
oder ohne Treppen steppen,
um die Muckies aufzupeppen.

Life is live in meinem Leben –
nur nach oben führt mein Streben,
himmelwärts mit 108:
Happy end – zu was gebracht!


Die Gegenwart dauert nur drei Sekunden!

Moment, bleib mal da!

Wieder ist der Tag ganz jung
und rüde, um mit kühlem Schwung
die müde, angestaubte Haut zu waschen.

Wieder kommt die Nacht auf Zehen,
samtig, wenn die Strahlen gehen,
hastig von dem Licht zu naschen.

Wieder dreht ein Jahr im Kreise,
rundet seine bunte Reise,
wendet hurtig für die Raschen.

Doch es bleibt zum Schluss die Freude,
süchtig nach dem dünnen Heute
flüchtig den Moment zu haschen.


Wie wäre es, wenn unser Leben ewig gut und schön bliebe?

Das ewige Leben

Ach du mein gelobtes Gestern!
Deine Schwestern
Liebe, Lachen, Leichtigkeit,
ließen mich verwaist zurück,
und mit dir ging auch mein Glück.

O du mein verhasstes Heute!
Alle Leute
lieben, leben unbeschwert,
heiter in den Tag hinein,
als gäb’s immer Sonnenschein.

Nichts mehr fürchte ich als Morgen!
Deine Sorgen,
Alter, Trauer, Tod und Leid,
hüllen mich in schweres Tuch,
liegen auf mir wie ein Fluch.

Könnt’ doch immer Gestern sein,
jung das Leben, süß der Wein.
Jede Stunde gäbe mir
Glücklichsein im Jetzt und Hier,
in Erwartung auf den Tag,
was er morgen bringen mag.

Ging’ die Zeit nie mehr vorbei,
wär’ ich sorgenlos und frei.
Hätt’ mein Leben keine Frist,
könnt’ ich’s nehmen, wie es ist.
Bräucht’ ich weder Glück und Mut,
könnt’ ich sagen: Es ist gut.

Ewiglich sei meine Freude,
immer heute,
alles neu und niemand alt,
und der Winter niemals kalt,
auch der Sommer nie zu heiß,
ohne Schweiß
sei das Leben so mein Streben,
immerdar mit süßem Trank
ohne Dank,
ohne Fehl, mir selbst genug,
könnt’ ich ohne Selbstbetrug
wirklich sagen: Es ist gut?


Mit Achtsamkeit und Fantasie das Leben mit allen Sinnen wahrnehmen: Ins Herz der Dinge sehen

Das Herz der Dinge

Wer geht den Dingen auf den Grund,
wo Zeit verweilt
im Schatten eines alten Baumes?

Wer hört das Farbenspiel
des Mondes?

Wer hält in seinen hohlen Händen
die Sonnenluft
auf den Vergissmeinnicht?

Wer riecht das frohe Seufzen
nun endlich satter Erde?

Wer spürt die Ewigkeit
im Lachen
eines Kindes?

Wer schmeckt die Lust
nach Salz und Sonne
auf der Wange?

Wer Welten auf den Pinsel streicht,
um sie ins Licht zu tauchen,
der schaut ins Herz der Dinge.


Im Büro von einem Termin zum anderen gejagt

Die Terminatorin

Termine machen uns viel Freude!
Da treffen sich so viele Leute
und alle zu der gleichen Stund´
und zu dem gleichen Thema gar!
Ja, ist denn das nicht wunderbar?

Termine machen ist so toll,
vor allem, wenn man weiß, man soll,
doch aber nicht mehr wie und wann.
Die Sekretärin, die man fragt,
seltsamerweise gar nicht klagt.

Termine machen macht sie froh.
Beim Mittagessen, auf dem Klo,
und auch beim leisen Büroschlaf
ist keiner ganz gefeit vor ihr –
sie findet alle im Revier

und schickt sie quer durch alle Gänge,
im kleinsten Raum die Menschenmenge
erscheint auf ihr Kommando schnell.
Als Herrin aller Uhren dann –
Terminatorin sein ist Fun!