Schwermut hat viele Namen: Depression, Niedergeschlagenheit, Melancholie, Wehmut, Freudlosigkeit. Schwermütig sein ist weit mehr als traurig zu sein wegen einer Enttäuschung oder eines Verlustes. Der Begriff “Schwermut” setzt sich zusammen aus “schwer” und “Gemüt”. Diese Bezeichnung ist sehr treffend: Das Gemüt ist schwer, drückt nieder – als läge ein großer Stein auf der Brust.
Schwermut ist der Verlust der Freude, wenn das Denken nur noch um negative Erlebnisse kreist. Oft vergangenheitsorientiert, das Jetzt wird kaum wahrgenommen, die Zukunft liegt im Dunkeln. Schwermütige Menschen beklagen den Verlust ihrer Sinneswahrnehmung. Farben verblassen, Töne verhallen, Hände vereinsamen. Die kleinsten Aufgaben erscheinen wie hohe Berge, die mühsam erklommen werden müssen.
Das Gefühl, nichts tun zu können bzw. nichts gegen die eigenen Gedanken und für das eigene Seelenleben tun zu können, ist manchmal verbunden mit Klagen: Dann wird Schuld zugewiesen, den Eltern, Geschwistern, dem Lebensgefährten. Die feste Überzeugung und das Gefühl, den äußeren Umständen hilflos ausgeliefert zu sein, hindert den schwermütigen Menschen meist daran, selbst Verantwortung für sein Leben zu übernehmen.
Angehörige und Freunde können nur daneben stehen und erfahren dabei ihre eigene Ohnmacht, wenn sie nicht helfen können. Dann sollten Experten hinzugezogen werden. Schützend für den Mitleidenden ist es, sich einem Freund anzuvertrauen – den Kummer nicht für sich zu behalten.
Trost
Tröste dich, die Stunden eilen,
und was all dich drücken mag,
auch die schlimmste kann nicht weilen,
und es kommt ein andrer Tag.
In dem ew’gen Kommen, Schwinden,
wie der Schmerz liegt auch das Glück,
und auch heitre Bilder finden
ihren Weg zu dir zurück.
Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest du der Stunden Schlag:
Wechsel ist das Los des Lebens,
und – es kommt ein andrer Tag.
(Theodor Fontane)
Anmerkung: Mit diesem Artikel will ich kein Urteil über psychisch kranke Menschen fällen noch kann ich es mir als Laie erlauben, Mutmaßungen über Ursachen und Wirkungen anzustellen. Meine Schilderungen sind rein subjektiv und beruhen auf eigenen Beobachtungen.
Alle nachfolgenden Gedichte © Anita Hasel
Man kann sich nicht selbst ausgeliefert sein. Oder etwa doch?
Ich kann nicht
Ich kann nicht lachen,
mich nicht freuen,
denn ich hab’ es viel zu schwer.
Ich kann nicht gehen,
mich nicht rühren,
denn das schaff‘ ich nimmer mehr.
Ich kann nicht fühlen,
mich nicht spüren,
denn mein Herz ist taub vom Leid.
Ich kann nicht reden,
mich nicht öffnen,
dazu bin ich nicht bereit.
Ich kann nicht weinen,
mich nicht trösten,
denn es wird nie wieder gut.
Ich kann mich selber
gar nicht sehen,
dazu hab ich nicht den Mut.
Ich kann nicht atmen,
nicht mehr leben,
denn die Angst schürt meine Qual.
Ich kann nicht sterben,
mich nicht töten –
doch ich hab jetzt keine Wahl.
Das Kind in dir ist alt
Die Kindheit wiegt so schwer
auf deines Lebens Waage,
die zweite Schale ist fast leer-
gespült von Tränen deiner Klage.
Die Seele klebt am Boden
in deinem bangen Herzen.
Gedanken knüpfen Knoten
an längst vertraute Schmerzen
die dich erfüllten bis zum Rand,
als Kind mit großen Sorgen,
dem Einsamkeit zur Seite stand
und Ängstlichkeit hielt es verborgen.
Was innen leer und wund,
willst du mit Eifer füllen,
an jedem Tag, zu jeder Stund’,
umgibst du dich mit leeren Hüllen
die jeden noch so kleinen Rest
begierig aus dir saugen –
nur an dem Kinde hältst du fest,
es soll zum Schutz dir taugen.
Doch ist das Kind in dir schon alt,
es kann dir nichts mehr geben.
Wenn du dich klammerst mit Gewalt:
Es kostet dich das Leben
als Mensch, der aufrecht gehen will,
selbständig auf den Beinen,
mit Blick nach vorne zu dem Ziel:
Sich endlich zu vereinen.
Bin alles, was dir blieb
Mir selbst allein
im Morgenschein
schmier ich auf’s Brot die Butter.
Der Caroduft
liegt in der Luft,
und nebenan liegt Mutter.
— weiterlesen —
www.netz-und-boden.de (Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern)
Der Clown auf dem Drahtseil
Der Wind spielt wild mit seinem Haar.
Er ist nur Mund und Augenpaar.
Die Nase rundet sein Gesicht.
Was ihn bewegt, das sieht man nicht.
Die Jacke, viel zu klein gewählt,
mit Tupfen auf ihr, ungezählt,
entblößt die Regenbogenweste
und eine Fliege wie zum Feste.
Beiläufig setzt er Fuß vor Fuß,
winkt mit dem Schirm zum frohen Gruß,
schwenkt ihn bedenklich hin und her –
ein Segler auf dem Menschenmeer.
Die Menge jubelt laut und jodelt,
der Hölle heißer Atem brodelt
tief unter seines hellen Blickes –
ein Meister unverzagten Glückes.
Das Ende ist noch nicht zu seh’n,
noch weit auf schmalem Grat zu geh’n.
Die Jacke bläht, der Schirm fliegt steil,
ein Blitz erhellt das hohe Seil.
Der Himmel will das Spiel beenden,
den Geher auf dem Glückspfad wenden.
Die Fliege taumelt samengleich,
nach unten in das dunkle Reich.
Doch ungetrübter ist sein Blick,
beim Seiltanz, weiter, Stück für Stück.
Je näher – zäher wird sein Wille,
ein Tänzer für des Lebens Fülle,
und doch ein Narr in allen Dingen,
die Leid und Mitleid mit sich bringen.
Wo and’re weinen, muss er lachen,
muss Heiterkeit aus Leid entfachen.
Ein Tritt ins Nichts. Die Menge raunt.
Noch immer scheint er gutgelaunt,
hält fest das Tau mit beiden Händen.
Was froh begann, soll traurig enden?
Der Wind spielt wild mit seinem Haar.
Er ist nur Mund und Augenpaar.
Die Nase rundet sein Gesicht,
was ihn bewegt, das sieht man nicht.
Sein breites Lachen hört man kaum.
Im Land des Lächelns ruht der Clown.