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Frühling

Alle Gedichte + Momentaufnahmen © Anita Hasel


Ein Nachmittag im Mai

Der Wind ist warm. Er spielt mit den Zweigen und Blättern, die sich bewegen, als tanzen sie zu einer wild-fröhlichen Melodie. Die Schatten der Bäume spielen Fangen auf dem saftigen Grün des Rasens. Kinder lachen laut. Ein Windrad dreht sich schnell. Es knistert nach Sommer.
Der Himmel ist blau. Weit und leicht umspannt er die helle Welt. Blätter und Dachziegel glänzen und reflektieren das gleißende Licht.
Vögel zwitschern durcheinander – kreuz und quer klingen ihre unterschiedlichen Stimmen. Tauben locken ausdauernd mit ihren dunklen Rufen im Drei-Viertel-Takt.
Samenpollen beschneien die Stadt, schweben auf und ab, schwerelos, und fliegen mit dem Wind davon.
Nur Wollen, kein Müssen. Nur hier sitzen und das Wohlgefühl genießen. Das ist Mai.


Der Frühlings-Reimling

Im Frühling ein Wüstling den Sperling stört.
Ein Schreiberling denkt, er hat sich verhört!
Schon sieht er des Wüstlings gierige Tatze,
der Schreiberling fasst sich entsetzt an die Glatze.

Spontan er den Sperling zum Schützling erklärt.
Der Wüstling ist nun keinen Pfifferling wert,
entpuppt sich als Hänfling von schwachem Geblüt,
und wird nun zum Winzling, dem Wüstes selbst blüht.

Da hat der Sperling zum Glück wieder Ruh‘
und wendet sich seinen Abkömmlingen zu,
doch fehlt jetzt ein Liebling, der Erstling im Nest!
Das gibt der Sperlingsmutter den Rest!

Im Frühling ein Sperling den Wüstling hackt,
und auf des Schreiberlings Lieblingsstift kackt.
Wüstling und Schreiberling sind ganz verwirrt,
da piept der Frischling, er hatt‘ sich verirrt.

Und die Moral von dem dümmlichen Ganzen:
Halt dich an Sämlinge, Blüten und Pflanzen,
schreib’ über Schmetterling, Wiese und Hain,
doch lass’ das dämliche “Ling”-Reimen sein.


Das Frühlingslied

Wer ist’s gewesen?
Schau!
Das welke Grau
durch Zauberhand so saftig grün.
Die Wiesen blüh’n
in süßer Pracht.
Des Lebens voll
ist alles, was erwacht.

Wer hat’s gehört?
Das Lied
das in uns spielt
und klingt
als wäre Zeit
in Ewigkeit
zur Wiederkehr bestimmt.


Osterspaziergang
(von Johann Wolfgang von Goethe)

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige Schauer körnigen Eises
in Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes.
Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie mit Farben beleben.
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
denn sie sind selber auferstanden:
aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbebanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus den Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluss, in Breit und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt.
Und bis zum Sinken überladen,
entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
hier ist es Volkes wahrer Himmel,
zufrieden jauchzet Groß und Klein:
“Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!”